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Writer's pictureMareike Röwekamp

Ein spontaner „Low Effort“ Marathon

Updated: Apr 4, 2022

Es ist der Donnerstag vor dem Marathon in Paris. Eigentlich wollen wir auf die Marathonmesse „Run Experience“, um mit Sponsoren für „Cap to Kap“ zu sprechen. Horst geht nur noch eben Baguette holen. Und dann verläuft das Frühstück ganz anders...


„Ich denke, ich meld‘ mich für den Marathon an“, sagt Horst und schmiert Marmelade auf das Baguette.

„Oh. Wenn Du läufst, dann lauf‘ ich auch“, entgegne ich, und schneide meinen Apfel.

„Melden wir uns an?“

„Melden wir uns an!“


Die Entscheidung ist leicht getroffen. Aber was soll das Ziel sein? Eine resultatorientierte Vorbereitung haben wir nicht absolviert. Die verbleibenden zwei Tage machen das auch nicht mehr wirklich möglich.. Aber nur um gute Zeiten geht es uns ja eigentlich auch nicht.

Wenn wir Afrika durchqueren, möchten wir durchschnittlich jeden Wochentag eine Marathon-Distanz absolvieren. Dann sollte es uns auch jetzt möglich sein, einen Marathon aus dem Stand zu laufen, auch wenn es noch einige Monate bis zur Abreise sind, so formt sich eine Rechtfertigung für die spontane Entscheidung.


Ist ein zerstörungsfreier Marathon möglich?




Der Plan wird so zu einem völlig untypischen: Einen Marathon aus dem Stand laufen - und zwar so zerstörungsfrei wie möglich. Wie lässt sich solch ein Tag einteilen, so dass nach dem Langstrecken-Laufen noch Energie bleibt für das Leben drum herum? Zum Organisieren der täglichen Dinge, zum Schreiben und Arbeiten? Wie lassen sich Kräfte über eine solche Distanz einteilen, so dass am nächsten Tag das Gleiche wieder möglich sein könnte? Versuchen wir, Antworten zu finden. Jeder für sich soll sein Tempo finden und wir stellen uns vor, wie wären schon unterwegs; und dann werten wir aus, was dieser Test bringt. Das wird zu unserer Vereinbarung.


Soweit der Plan. Und wieder kommt alles anders...


Die ersten 10 Kilometer



„Paris à vos pieds“. Die Stadt liegt vor unseren Füßen, auch wenn sie mit 2 Grad Celsius am Morgen doch erstmal kalt ist. Vom Start auf der Champs-Elysee geht es bergab in Richtung Concorde. Dort ist der 230 Tonnen schwere und über 30 Jahrhunderte alte „Obelisk von Luxor“ gerade mit einem Gerüst umbaut: Über sechs Monate wird er restauriert, um zu den Olympischen Spielen in Paris 2024 wieder in ganzem Glanz zu erstrahlen. Die Strecke führt an der Oper vorbei, zurück an die Seine.


Eine Sehenswürdigkeit jagt die nächste, und wir laufen gemeinsam nebeneinander her, froh, die Kälte des Wartens am Start hinter uns gebracht zu haben. Das Tempo liegt mit um die 6:00 min/ km oder 6:20 min/ km überhalb dessen, was ich für mich veranschlagt hätte, aber was soll es. Die ersten 10 Kilometer wollen wir zusammen laufen. Warum nicht das Tempo mitnehmen, wenn es gerade geht? Allez! Mit Vorsicht, langsamer werden geht ja immer noch.


Der Weg zum Halbmarathon


Eigentlich wollten wir bereits getrennt voneinander laufen, aber es passiert nicht. Wir laufen parallel zur Seine hinab zur Bastille. Eng säumen rechts und links Zuschauer die Strecke und feuern uns an. Die Athmosphäre ist lebendig, Trommelgruppen geben uns den Rhythmus. Menschen haben Freude. Die, die laufen, und die, die die Laufenden anfeuern. Und gleichzeitig weiß jeder: Wir wissen nicht, was auf der zweiten Hälfte, dem zweiten Halbmarathon, passiert.


Eine Gruppe Feuerwehrmänner säumt den Weg und feuert die Läufer an. Etwas später steht eine Station von Sanitätern, die noch nicht viel zu tun haben. Was die Sanitäter wohl gerade denken, wenn die ersten Läufer bereits jetzt schweren Beines vorbeiziehen, und es ihnen klar sein muss, dass sie irgendjemanden, der sich auf dieser Strecke befindet auf ihrer Trage haben werden? Und trotzdem sind sie da. Und sie machen es gern. Ist es nicht vielleicht das, was die großen Errungenschaften der Menschheit erst möglich macht? Dass es immer Menschen gibt, die über Grenzen gehen möchten und Menschen, die sie dabei unterstützen? Und nur gemeinsam kann etwas besonderes, nur so kann Fortschritt entstehen? Auch wenn natürlicherweise es auch immer Scheitern auf dem Weg gibt..


Leicht bergauf, über lange Geraden geht es zum Chateau de Vincennes, um dort im gleichnamigen Park eine Runde zu ziehen. Die Bastille soll bei Kilometer 24 zum zweiten Mal auf uns warten..


Von Kilometer 20 bis zur Wand


Wir laufen immer noch zusammen. Immer noch mit einem Schnitt nicht weit entfernt von dem des Anfangs. Geradewegs in Richtung „Wand“, die dem Marathonläufer gern bei Kilometer 30 angekündigt wird. Jetzt werden wir Paris auf seiner „Sightseeing-Route“ durchqueren – herunter auf den Quai, die auch im normalen Betrieb für Autos gesperrte Promenade. Die Passage durch den längeren Tunnel lässt psycholdelische Gefühle aufkommen. Das Trommeln, das Atmen, das Geräusch der Hunderte Paare Schuhe, die jedes für sich gleichmäßig auf den Boden stoßen, vermischen sich mit bunten Lichtblitzen und den Sounds des DJs. Vor allem vermischt es sich mit dem Zustand, in dem ich mich befinde. Einige Kilometer sind noch zu laufen, die Beine melden sich. Die Wand jedoch tut sich nicht auf.

Der Plan allerdings, so langsam wie möglich, so langsam wie nötig zu laufen, hat sich etwas aufgelöst. Wir laufen weiter zusammen. Also was solls...


Was danach geschieht...




Irgendwann kommt Kilometer 30 mit Blick auf den Eifelturm. Die Strecke ist großartig, sieht man von den Wellen durch die Unterführungen ab. Kilometer 34 führt einen fiesen Anstieg auf zum Bois de Bologne, dem westseitigen Wald von Paris‘, ein weiterer Schlenker bei Kilometer 39 an der Fondation Louis Vuitton vorbei.


Im Geiste geh ich meine Mantra durch: Die ersten 10 Kilometer gehen immer rund, nach 20 Kilometern hat man schon die Hälfte. Dann sind es nur noch 10 Kilometer und man ist schon bei 30. Jetzt wäre es wirklich blöd, die letzten 10 Kilometer nicht noch schön zu laufen.. Irgendwie gehen sie vorbei.


Und so ist es. Plötzlich taucht 4:30h als Zielzeit auf.. Plötzlich wird es doch wieder eine Zeit?



Das Finish


Jetzt ist es klar. Wir laufen zusammen ein. Bei 4:31:16. Das Ziel des Marathons ist erreicht.

(Klar ist auch, es hat bei der Ankunft Apfel gegeben. Das sieht man mir an..)


Und das ursprüngliche Ziel des Starts?

Ja, wir sind einen Marathon aus dem Stand gelaufen.

Ja, wir fühlen uns noch immer gut.

Nein, der zerstörungsfreiste Marathon des Lebens ist es möglichweise nicht.

Ja! Aber aus Versehen wird es eine persönliche Bestzeit!


So ist es mit den Plänen. Erst macht man welche und dann geschieht doch etwas ganz anderes.


Morgen früh gibt es wieder Frühstück. Mal schauen, was passiert...

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